Ok, vermutlich gibt es Dänemark schon etwas länger als ein Jahr, aber mir ist gerade aufgefallen, dass ich genau vor einem Jahr nach Kopenhagen gezogen bin. Ein guter Zeitpunkt um zurück zu blicken. Ich glaube, hierher zu kommen, war meine beste Entscheidung in den letzten 5 Jahren – ich weiß nur noch nicht genau warum.
Zum einen ist da der Aspekt im Ausland zu leben. Alle, die schon einmal für etwas längere Zeit nicht in Deutschland gelebt haben, werden mir da vermutlich zustimmen: allein das ist eine wundervolle Erfahrung. Nicht nur, dass man neue Kulturen und Herangehensweisen lernt, man bekommt auch ganz neue Ansichten von Deutschland. Man wundert sich ein um das anderen Mal mehr, was wir Deutschen manchmal für merkwürdige Ansichten haben. Gerade die German Angst versteht man im Ausland erst richtig. Kulturell unterscheidet sich Dänemark von Deutschland im Grunde ja nur unwesentlich; auch wenn mir jetzt wahrscheinlich gleich jemand mit dem Dannebro eins über die Rübe zieht – ernsthaft, während ich hier „nur“ mit der Sprache und dem Aufbau eines neuen Freundeskreises kämpfe, sind meine Kollegen aus Italien, Spanien oder Griechenland noch mit dem Essen, dem Wetter und der Tatsache, dass Ampeln hier eine Bedeutung haben, beschäftigt.
Apropros Freundeskreis: ins Ausland zu ziehen hat ja nicht nur Vorteile. Man fängt bei null an, lebt erst einmal nur für den Job und hält sich auch am Wochenende die meiste Zeit in der Uni auf. Es ist zwar nett und spannend, dass alle Kollegen aus unterschiedlichen Regionen der Erde (nur leider niemand aus Dänemark) kommen, doch lebt man dann gemütlich in seiner „Ausländer-Blase“ vor sich hin. Die Integrationsdebatte, die Deutschland ja den vergangenen Sommer über groß bewegte, erlebe ich aus der anderen Perspektive. Und in sofern haben die Recht, die auf die Integrationsverweigerer schimpfen, dass Integration bei denen anfängt, die sich zu integrieren haben. Allerdings haben wir im Okzident auch leicht reden, ist es doch nichts Anderes für uns sich in Dänemark, Spanien oder England zu integrieren; eigentlich ist das alles ein Kulturkreis.
Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte: Kontakt zu Dänen muss man suchen, und es hat mich viel Zeit und Mühe gekostet hier ein paar Kontakte aufzubauen. Kurios allerdings: Dänisch spreche ich mit denen auch nicht. Mein Wortschatz beschränkt sich zwar nur auf wenige Grundlagen, aber hier besteht auch gar nicht der Anspruch oder die Notwendig das zu ändern. Alle sprechen halt Englisch – fertig aus.
Summa summarum: es ist manchmal ganz schön einsam im Ausland zu leben, und es kostet viel Kraft, aber die Erfahrungen sind es meiner Meinung nach definitiv wert.
Der andere Aspekt ist „die Branche gewechselt zu haben“; zurück nach Akademia. Mein eugentlicher Antrieb war die Frustration in meinem alten Job, das Gefühl völlig unsinnigen Paradigmen unterworfen zu sein, und an etwas zu arbeiten, dass keinerlei gesellschaftliche Relevanz – noch irgendeinen Novelty Aspekt – hat. All das habe ich jetzt nicht mehr. Ich kann mir vor allem meine Zeit frei einteilen. Wenn ich Lust dazu habe, kann ich auch bis vier Uhr morgens arbeiten und dann bis mittags um eins ausschlafen und niemand interessiert’s – meistens jedenfalls. Gerade das Konzept der Heimarbeit ist genial! Ich frage mich immer noch, wozu man eine Wohnung benötigt bzw. Energie darin investiert sie schön zu gestalten, wenn man die Woche kaum zuhause ist. Auf der andere Seite arbeite ich sicherlich mehr als die 37 Wochenstunden in meinem Arbeitsvertrag, wobei da erst einmal zu definieren wäre, was eigentlich „Arbeit“ an der Universität bedeutet; einmal abgesehen von Offensichtlichem wie Vorlesungen halten und Hausaufgaben korrigieren einmal abgesehen. Jedenfalls sitzt sicherlich keiner von uns von neun bis fünf an seinem Schreibtisch – warum auch? Geld bekommen für pure Anwesenheit? Was für ein Blödsinn!
Dafür muss man hier wesentlich eigenverantwortlicher Arbeiten, natürlich schaut mal jemand drauf, ob man hier nicht nur Unsinn mit dänischen Steuergeldern macht, doch was und wie man macht, dafür ist man im Wesentlichen selbst verantwortlich.
Natürlich ist solche Freiheit purer Luxus, und hängt vor allem damit zusammen, dass die bisherige Forschung im Bereich „Künstliche Intelligenz in Computerspielen“ sehr überschaubar ist. Geht man auch nur einen Meter in eine beliebige Richtung, so steht man im wissenschaftlichen Niemandsland.
Aber auch hier darf man sich mit unkooperativen bzw. inkompetenten Verwaltungsabteilungen herum schlagen. In Italien soll das aber noch nie absurder sein, also will ich mich nicht beschweren.
Was ist sonst so im letzten Jahr passiert? Ich hatte einige Besucher, manche blieben für mehrere Tage, andere nur für ein paar Stunden. Ich glaube viele waren überrascht, wie International Kopenhagen an sich, und die ITU im Speziellen ist. Dinge, die ich eigentlich gar nicht mehr so wahrnehme. Dank der Notwendigkeit mein eigenes Touristenprogramm aufzustellen, kenne ich jetzt auch fast jede Sehenswürdigkeit und eine Menge Kneipen und Cafés in der Innenstadt. Natürlich lade ich jederzeit dazu ein, sich vor Ort hier selbst ein Bild der Stadt zu machen.
Und zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: würde ich nach Deutschland zurückkehren wollen? Jaein. Beruflich kann ich das mit einem klaren „Nein“ beantworten. Die politischen und wirtschaftlichen Zeichen zeigen einfach, dass ich derzeit für mich keinerlei berufliche Perspektive sehe. Das Thema Computerspiele in der Forschung ist nicht einmal auf der politischen Agenda zu finden. Wahrscheinlich würde mich es da eher in die Vereinigten Staaten ziehen.
Ob kulturell und privat? Gute Frage. Man gewöhnt sich so schnell an andere Denkweisen und Ansprüche (Die Höflichkeitsform „Sie“ ist irgendwie komplett aus meinem Sprachgebrauch verschwunden), so dass mir Deutschland sicherlich etwas komisch und steif vorkommen würde. Andererseits bin ich hier auch noch nicht familiär gebunden,
so dass ich mich überraschen lasse, was in den nächsten zwei Jahren und darüber hinaus noch passieren wird …
Hallo Tobi,
ich wüsste da noch einen tollen Grund, der für Deutschland spricht: Das Beliner Kabarett!
Heute erst hat sich Deutschland für „Sendezeiten“ im Internet entschieden: http://www.bremerhavenbloggt.de/allgemein/deutschland-verabschiedet-sich-aus-dem-netz/ Jugendschutz und so 😀
Aber auch immer wieder Unterhaltsam sind die kompetenten Dinge, die das Kabarett zum Thema Terrorismus http://www.youtube.com/watch?v=mSaNMDLrd04 oder auch zur Sicherheit von elektronischen Dokumenten zu sagen haben http://www.youtube.com/watch?v=knshF6wmu_A
Sowas darf man sich auf keinen Fall entgehen lassen!
Viele Grüße aus dem Clowns-Collage
Ja, das mit dem JMStV habe ich auch schon gelesen. Zum Glück muss ich wohl weder ein Schloss an meinem Blog anbringen, der die Öffnungszeiten regelt, noch ein Jugendschutzformular bereitstellen, dass deine Eltern ausfüllen können – ich werde einfach Domain und Server nach Dänemark umziehen. Manchmal überlege ich echt, ob ich nicht UNO Truppen nach Berlin senden sollte …
> Manchmal überlege ich echt, ob ich nicht UNO Truppen nach Berlin senden sollte …
Ja bitte! Seit Gestern wissen wir ja, dank Wikileaks, dass „Thomas de Maizière nicht der richtige Mann, in Deutschland [sei, um] ein allgemeines Fingerabdrucksystem einzuführen.“
So kann es nicht weitergehen!
„Thomas de Maizière nicht der richtige Mann [sei, um] in Deutschland ein allgemeines Fingerabdrucksystem einzuführen.“ sollte es heißen, kannst es direkt im erste Post korrigieren 😉